bedingungsloses Grundeinkommen

Grundeinkommen und Leistungsgesellschaft

In seinem Beitrag „Zwischenschritte zum Grundeinkommen – Zwischenschritte zur Bedingungslosigkeit“ sagt Ingmar Kumpmann: „Der Weg zum Grundeinkommen führt über die Kritik am Leistungsprinzip“. Hier ist eine solche Kritik:

Leistung hat in unserer  Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Leistung ist etwas Positives, wer etwas leistet, ist gut angesehen. Und umgekehrt haben diejenigen ein schlechtes Image, die angeblich nichts oder wenig leisten. Häufig wird davon gesprochen, dass wir in einer  Leistungsgesellschaft leben. 
Lt. Wikipedia wird darunter Folgendes verstanden:
"Leistungsgesellschaft ist die Modellvorstellung einer Gesellschaft, in welcher die Verteilung angestrebter Güter wie Macht, Einkommen, Prestige und Vermögen entsprechend der besonderen Leistung erfolgt, die einem jeden Gesellschaftsmitglied jeweils zugerechnet wird. […] Vorausgesetzt wird dabei, dass der erwirtschaftete (zusätzliche) Nutzen Einzelpersonen bzw. deren persönlichem Einsatz eindeutig zugerechnet werden kann. Soziale Schichtung und Herrschaft werden dadurch legitimiert, dass die so bevorzugten sogenannten 'Leistungsträger' ihre sozialen Vorteile durch eigene Leistungen verdient haben sollen. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Leistungsgesellschaft, abgerufen am 24.8.2011)
Eine solche Leistungsgesellschaft steht im Widerspruch zum BGE, denn bei einem BGE wird nicht zwingend eine Leistung vorausgesetzt. Im Gegenteil, das Grundeinkommen wird ohne jede Bedingung ausgezahlt. Der Begriff der Leistungsgesellschaft ist aber auch hoch problematisch. Er setzt stillschweigend voraus, dass alle wissen, worin eine konkrete Leistung besteht, was sie wert ist und wem sie zugerechnet werden soll. Das ist aber keineswegs der Fall. Wir wissen eben meistens nicht, worin eine Leistung konkret besteht, was sie wert ist und wem sie warum zugerechnet werden soll. Wie viel ist die Zuwendung einer Mutter wert? Worin besteht die konkrete Leistung eines - sagen wir mal - Abteilungsleiters? Wie kann Leistung überhaupt gemessen werden? Ist eine Leistung immer positiv oder nicht auch manchmal schädlich, z. B. wenn ein Moor umgepflügt und in ein Maisfeld verwandelt wird? Andere Beispiele sind bekannt: Rüstungsindustrie, Gentechnik. Wie ist eine Leistung abzugrenzen, d.h. welche Folgen einer Handlung sind dem Handelnden zuzurechnen? Die sogenannten Leistungsträger sind längst nicht immer auch diejenigen, die eine Leistung erbringen. Wenn man nach den Leistungsträgern in einer großen Firma fragt, denkt man selten an die einfachen Mitarbeiter. Viel häufiger ist also der umgekehrte Fall: Weil jemand viel Geld erhält (das Wort „verdienen“ wird hier bewusst vermieden), unterstellen wir ihm eine große Leistung. Leistungsträger werden an ihrem Bankkonto und nicht an ihrer Leistung erkannt. Der Erwerb und die Akkumulation von Reichtümern beruhen auf natürlichen und vielen gesellschaftlichen Voraussetzungen. Die natürlichen Grundlagen sind der gesamten Menschheit gegeben. Darüber hinaus: Veränderte Natur, also z. B. Nutzpflanzen und -tiere sind von unzähligen Menschen und Kulturen gezüchtet worden. Allgemeine Zivilisationstechniken und kulturelle Fähigkeiten sind über Jahrhunderte gewachsen. Viele Gesellschaften und noch mehr Generationen haben gearbeitet und bewirkt, dass die heutigen Möglichkeiten des Erwerbs überhaupt existieren. Dazu gehören z. B. das Rechtswesen, die staatliche Infrastruktur, das Geldwesen, eine politische Kultur, die Privateigentum und Zinsen grundsätzlich akzeptiert, Handelsstrukturen, gemeinsame Grundlagen von Werten, Bildung, Gesundheit, Wissenschaft und vieles mehr. Das alles ist keineswegs selbstverständlich! Unzähligen Wissenschaftlern und Ingenieuren ist es beispielsweise zu verdanken, dass uns Maschinen heute viel Arbeit abnehmen können. Ein gewachsenes Rechtswesen und die Verwaltung haben wichtige Grundlagen für geschäftlichen Austausch gelegt. Hinzu kommt, was wir uns an Vorteilen aus anderen Ländern verschafft haben und uns noch verschaffen. Das alles ist eine historische Gemeinschaftsleistung, deren Nutzen auch der Gemeinschaft zugute kommen muss, indem alle vom Ertrag profitieren und weniger arbeiten müssen. Teilhabe an diesem gesellschaftlich erzeugten Reichtum ermöglicht auch ein bedingungsloses Grundeinkommen, das man in diesem Zusammenhang als eine „historische Dividende“ verstehen kann – oder im Zusammenhang mit der allen gehörigen Natur, eine "Naturdividende" Doch auch heute erwartet man wie selbstverständlich vom staatlichen Schulwesen, dass es die Schüler auf betriebliche Aufgaben vorbereitet – auf Kosten des Steuerzahlers. Oder man erwartet, dass Subventionen gezahlt werden. Und es wird nicht bemerkt, dass damit immer weiter Gemeinschaftsleistungen in Anspruch genommen werden, um damit angebliche „eigene Leistungen“ zu erbringen. Es gibt in der heutigen Wirtschaft praktisch keine rein "eigene Leistung" mehr! Wenn ich etwas als meine eigene Leistung für mich reklamiere, so heißt das oft, den Anteil anderer Menschen zu unterschlagen. Die sogenannte Leistungsgerechtigkeit ist sehr oft nur ein Schönsprech für große Ungerechtigkeiten. Es ist vermessen, die heutige - zum Teil skandalöse - Verteilung von materiellen Gütern mit eigener Leistung zu begründen. Zusammenfassend stelle ich folgende Punkte heraus:
  1. Ich billige vielen Akteuren eine Leistung zu - nicht unbedingt im marktwirtschaftlichen Sinne, wohl aber in einem ganz realen. Das ist wie beim Arbeitsbegriff, den wir – die BGE-Bewegung – ja auch nicht mehr nur auf Erwerbsarbeit verengen wollen.
  2. Ich betone die gesellschaftlichen, natürlichen und historischen Voraussetzungen für das Erbringen von Leistungen. Im Vergleich zu diesen Voraussetzungen ist die jeweils hinzugefügte Einzelleistung sehr gering. Auch ein hartgesottener Vertreter von Leistungsgerechtigkeit müsste ehrlicherweise zugestehen, dass es gerecht wäre, den größten Teil dessen, was aufgrund der gesellschaftlichen Voraussetzungen erbracht wird, eben der Gesellschaft zugute kommen zu lassen.
  3. Ich stelle einige wichtige Voraussetzungen für das alte Verständnis von Leistungsgerechtigkeit in Frage: die individuelle Zurechenbarkeit, die Messbarkeit, die Abgrenzbarkeit von Leistung. Leistung wird immer innerhalb eines Kontextes erbracht, der sie relativiert und mit vielen anderen Menschen verknüpft.
  4. Es gibt einen inneren Widerspruch: Einerseits wird implizit eine genaue Zurechnung von Leistung behauptet, andererseits geht man von einem dynamischen und prinzipiell nicht vorhersagbaren Marktgeschehen aus. Damit wäre Leistung ja erst nachträglich im Lichte von Erfolg oder Misserfolg einschätzbar und keineswegs im Voraus festzulegen.
  5. Und damit entlarve ich die alte Argumentation als Zirkelschluss bzw. klandestine Umkehrung: Nicht eine marktwirtschaftliche Leistung wird festgestellt und adäquat vergütet (siehe Josef Ackermann), sondern am erhaltenen Geld wird eine angebliche Leistung nachträglich gemessen oder vielmehr als solche deklariert.